mehr als juchtenkäfer

Mit den Fällarbeiten im Februar verschwanden im Mittleren Schlossgarten nicht nur ein ehrwürdiger alter Baumbestand, sondern auch ein Naherholungsgebiet mit besonderem Artenreichtum: Mitten in der „Stadt der Autos“ hatten sich Fledermäuse, Eichhörnchen sowie über 50 Vogelarten wie Bachstelze, Zaunkönig, Turmfalke, Drosseln, Rotkehlchen und sogar streng geschützte Arten wie Hohltaube, Mittelspecht oder Gelbkopfamazone heimisch gefühlt.

Foto: Tomoko Arai

Etwa 48 Exemplare dieser exotischen Papageien kommen in Stuttgart vor und sie sind die einzige frei lebende Population außerhalb Amerikas. In ihrer Heimat ist die Gelbkopfamazone vom Aussterben bedroht, sie steht auf der IUCN Rot-liste (stark gefährdet). Auch die Feldhasen werden rot gelistet und das Völkchen im Schlossgarten war die größte Feldhasen-Population innerhalb einer deutschen Großstadt.

Auch wenn die tierische Vielfalt auf den ersten Blick nicht immer zu sehen war: wer sich wie Fotografin Tomoko Arai geduldig und neugierig auf die Lauer legte, konnte im Schlossgarten ganz besondere Naturschauspiele erleben. Fast bittere Ironie, dass einige der schönsten Tierfotos aus dem zerstörten Refugium derzeit im Erdgeschoss des Stuttgarter Rathauses zu sehen sind.

„Artenvielfalt bedeutet nicht nur, dass zufällig viele Tier- und Pflanzenarten an einem Ort vorkommen, sondern ist die Folge eines reifen, stabilen Ökosystems. Hohltaube, Juchtenkäfer, Abendsegler sind oder waren nur deshalb im Schlossgarten anzutreffen, weil sich dieser Park und seine Bäume über Jahrhunderte ungestört entwickeln konnte. Es war ein Stück ursprüngliche Natur mitten in der Stadt, ein künstlich geschaffenes Ersatzbiotop und doch gleichermaßen ein Urwald der besonderen Art. Artenvielfalt ist auch Lebensqualität. Diese uralten Bäume hatten etwas Archaisches, Beschützendes, Beruhigendes. Sie berühren uns in unseren vom Alltagsstress verschütteten Urinstinkten, tief in unseren Herzen“ verdeutlicht Tomoko Arai, welcher Natur-Reichtum dieser Tage so einfach weg gesägt worden ist.

„Auch wenn ich auf Reisen schon immer Tiere fotografiert habe, startete ich dieses Fotoprojekt ganz bewusst“, so die Wahl-Stuttgarterin. „Ich wollte einfach mal sehen, welche und wie viele Tiere tatsächlich im Schlossgarten leben und schließlich hatte ich die Hoffnung, dass diese Dokumentation hilft, die Baumfällarbeiten zu verhindern, doch offenbar ist die Zerstörungswut einfach größer als gesetzlich verankerter Natur- und Artenschutz.“

Denn: Grundsätzlich sind alle Vogelarten nach EU-Recht geschützt. Laut Bundesnaturschutzgesetz,§44(2) ist es verboten, „wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, (3):Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören“. Einfach traurig, dass es manchen Menschen offenbar sowas von egal ist, dass wir Gefahr laufen, wilde Tiere künftig nur noch auf Fotopapier erleben zu können.

Trotzdem oder gerade deshalb: Die Ausstellung lohnt sich, wurde um zwei Wochen verlängert und ist voraussichtlich bis 17. März zu besuchen: Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr, Erdgeschoss Rathaus, Marktplatz 1, Stuttgart; Eintritt frei. Homepage zur Ausstellung: www.stuttgarter-schlossgarten.de

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