maria, kaiserin von russland

Wo wir grade bei Schwäbischer Küche waren: ein Stuttgarter Zuckerbäcker hat eigens für Olga Nikolajewna Romanowa eine süße Brezel aus Knet- und Blätter kreiert – die Olgabrezel. Die Gemahlin Wilhelm I. war vor allem für Ihre „Charity“-Aktionen beliebt, deshalb trägt das Stuttgarter Olgahospital – eines der größten deutschen Krankenhäuser für Kinder und Jugendliche – heute noch ihren Namen.

mariaDass die Häuser Romanow und Württemberg eine lebhafte Heiratspolitik pflegten, zeigte erst kürzlich die große Landausstellung „Im Glanz der Zaren“. Und während Olga Nikolajewna Romanowa in Stuttgart „mildtätig“ wirkte, wurde einige Jahrzehnte vorher Maria Fjodorowna in St. Petersburg durch ihr soziales Engagement bekannt.

Alle, die aus Liebe geheiratet haben, dürfen sich kurz Folgendes vorstellen: Sophie Dorothea Auguste Luise von Württemberg wird mit 16 Jahren durch Vermittlung von Friedrich II. als zweite Frau des russischen Thronfolgers Paul nach St. Petersburg verheiratet. Nach wenigen Wochen Vorbereitungszeit reist sie im Grunde von heute auf morgen an den Zarenhof, muss konvertieren und heißt ab sofort Maria Fjodorowna. Und als ob das alles nicht schon übergriffig genug ist, heißt ihre Schwiegermutter Zarin Katharina II. – auch die Große genannt. Eine Herrscherin, die vor allem durch zahlreiche Liebschaften – darunter Graf Orlow und Fürst Potjomkin – sowie ihre territorialen Machtgelüste bekannt wurde.

Diese hat im Sommer 1762 ihren Mann, Kaiser Peter III. „abgesägt“, demütigt ihren Sohn wo sie nur kann und wird von selbigem glühend gehasst. In St. Petersburg angekommen, wird jeder ihrer Schritte überwacht, ihre Korrespondenz kontrolliert und von ihrem Mann Paul I. erhält sie eine „14 Punkte“-Verordnung, nach der sie fortan ihr Leben zu richten hat.

Punkt I betrifft kirchliche Riten und Bräuche, die sie einzuhalten hat, Punkt 2 regelt die Angelegenheit „Ihre Majestät (die Kaiserin) und das Verhalten der Prinzessin ihr gegenüber“, es folgen Regeln für den Umgang mit dem Personal, mit der russischen Sprache, mit Geld, Garderobe und dem Lebensstil allgemein sowie natürlich mit dem russischen Volk – ich hätte bereits lang vorher dankend abgelehnt!

Wie die württembergische Prinzessin tatsächlich ihre Rolle annimmt und daran wächst, erzählt Marianna Butenschön in der Biografie „Maria, Kaiserin von Russland“ aus dem Theiss Verlag. Die Autorin beleuchtet Maria nicht nur als Schwiegertochter der Zarin, sondern vor allem auch als Ehefrau, Mensch und Mutter.

Was trotz allem Reglement glücklich begann – Paul und Maria sind die ersten Ehejahre durchaus glücklich miteinander – mutiert zusehends zur menschlichen Katastrophe. Maria erduldet eine zunehmend misstrauischen, launenhaft-cholerischen und untreuen Ehemann, politische Affären, Kriege, Intrigen den Tod einiger ihrer Kinder, permanente Spannungen mit der Schwiegermutter und schließlich das  Attentat auf ihren Ehemann Paul – immer wieder schafft es Maria Fjodorowna, ihre innere Haltung zurück zu gewinnen.

Schöne Momente dürften die Musestunden gewesen sein, in denen Maria Fjodorowna Cembalo spielt oder die Künste studiert: sie versuchte sich an Aquarellen, Zeichnungen, Grafiken, Kupferstichen und Skulpturen, ihre Profession wurden jedoch Steinschnitte, die heute noch in Museen zu bestaunen sind. Auch die Park- und Gartengestaltung ihres Landgutes Pawlowsk lag der Großfürstin am Herzen, sie ist eine passionierte Gärtnerin.

Auf ihren Reisen nach Europa freundet sich die Kaisergattin mit berühmten Persönlichkeiten ihrer Zeit an, darunter Marie Antoinette. In der Schweiz trifft sie Voltaire und unterhält einen kurzen Briefwechsel mit dem einflussreichen Schrifsteller und Philosophen und sie erlebt Mozarts neue Oper – die „Entführung aus dem Serail“ – im Wiener Hoftheater sowie Haydns Streichquartette in der Hofburg. Der Komponist widmet seine Streichquartettete op. 33 dem russischen Großfürsten, weshalb sie auch „Russische Quartette“ genannt werden.

Die meisten Zeitgenossen rühmen Marias „Grazie“ und „Würde“ sowie ihre Herzenswärme. Sophie Dorothee wuchs in glücklichen familiären Verhältnissen auf, wurde zu Bescheidenheit, Disziplin und Religiosität erzogen. Sie erhielt eine umfassende Ausbildung, lernte mehrere Sprachen und wurde zudem in Konversation, Musik, Tanz, Zeichnen, Malen, Handarbeit , Geschichte, Geographie und Religion unterrichtet. Außerdem kannte sie sich mit Hauswirtschaft aus. Eine Erziehung also, die ihr die Eingewöhnung am Zarenhof zwar erleichterte, doch da sie – vordergründig? – kaum politischen Ehrgeiz entwickelte, hielten einige Diplomaten sie schlicht für dümmlich.

Fest steht: Sophie Dorothee von Württemberg war eine außergewönliche Frau, die durchaus intellektuelle Neugier, Weltoffenheit, Geschmack und Güte besaß und sich ihre guten Eigenschaften allen Widrigkeiten zum Trotz bewahrt hat.

Das tödliche Komplott gegen ihren Ehemann Paul sowie die Kriegseinsätze ihrer beiden Söhne Alexander I. und Nikolaus I. setzten der Kaiserinmutter allerdings doch stark zu und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Maria Fjodorowna starb 1828 im Winterpalast.

Ihre Biografie ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte mit sehr persönlichen Einblicken, belegt durch Briefe, diplomatische Berichte und andere Überlieferungen. Sie stellt eine Familie in den Mittelpunkt, die Weltgeschichte schrieb, das Leben so vieler Menschen – auch außerhalb Russlands – berührte und beeinflusste und in der doch alle nur – wenn auch privilegierte – „Kinder ihrer Zeit“ waren.

Marianna Butenschön „Maria, Kaiserin von Russland. Die Württembergerin auf dem Zarenthron“, 432 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 19 Euro 99, Theiss Verlag

 

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