arzt und autor aus leidenschaft: udo oskar rabsch

Mit zwei leidenschaftlichen Berufungen – Arzt und Schriftsteller – ist Udo Rabsch Stuttgarts Ausnahme-Autor, zumal er am liebsten anonym arbeiten würde. Nicht nur seiner Verlegerin zuliebe hat er trotzdem ein Interview gegeben. udo oskar rabsch

Seit wann spielt Texten eine Rolle in Ihrem Leben?
Texte spielen seit dem Kindergarten in Neuhausen auf den Fildern eine entscheidende Rolle. Ich war ein Marienkäfer mit rot gepunkteten Flügeln, durfte mich auf einen Hocker stellen und ein Gedicht vortragen. Ich sah, wie meine Worte auf die Gesichter der anderen Kinder und der Erwachsenen trafen und einen Zauber entfachten, in dessen Widerschein ich hinauf flog und schwebte, als wäre ich nicht ein Käfer sondern ein alles verkündender Engel.

Und wann wollten Sie das erste Mal Arzt werden? Vor allem: Weshalb und zogen sich beide Berufungen – die des Schriftstellers und des Arztes – wie ein roter Faden durch Ihr Leben oder gab es da auch „Umwege“ oder Brüche?
Nie wollte ich Arzt werden. Ich sträubte mich wie wild gegen diesen Gedanken, der mich schließlich in die Knie zwang. Das kam so: ich studierte Theologie im Stift in Tübingen um Pfarrer zu werden. In der evangelischen Theologie war damals Bultmann angesagt. Ich weiß nicht mehr genau, wie das damals hieß, historischer Existenzialismus, Existentialtheologie oder so. Jedenfalls, es gab keinen Gott, Gott war nur ein Ausdruck für Liebe – Johannesevangelium. Dazu las ich Heidegger, der ein Zimmernachbar von Bultmann gewesen war: Die Zukunft entscheidet über das existentielle Jetzt. Es gibt mächtige Zukünfte und weniger mächtige. Wenn ich übermorgen in Urlaub fahre, ist jeder Tag von den Urlaubsvorbereitungen und den entsprechenden Urlaubsgefühlen bestimmt Die stärkste Zukunft ist der Tod, also ist der Tod der mächtigste Faktor fürs jetzige Verhalten, Fühlen und Denken. Also ist der Tod nur eine Metapher für Gott, der das Mächtigste ist. Wer den Tod als seinen Gott anerkennt, kann lieben und gut sein ohne etwas für sich selbst zu wollen. Dies war der Vortrag, den ich im Stift zur Begründung meiner „ neuen atheistischen Moral“ halten durfte. Ich wurde damals von Professoren der „Kazettphilosophie“ geziehen. Wie konnte ich also gut sein und nahe bei Gott/Tod? Ich musste ohne viel zu reden – wie die Pfarrer und Lehrer und Advokaten – Arzt werden und heilen. Meine Entscheidung für die Medizin war subjektiv eine Entscheidung gegen die Inflation der Wortemacherei.

Der rote Faden der Worte war abgebrochen. Meine Gedichte aus der Schülerzeit waren wertlos, ebenso wie das Theologie- und Philosophiestudium. Als ich die westliche Luxusmedizin in meiner Krankenhauszeit erlebte, musste ich ausbrechen. Ich schloss mich der KPD-AO an, der Liga gegen den Imperialimus. Aber auch da: Leere Wortemacherei, neue Hierarchien der Eitelkeit. Ich meldete mich in der Botschaft der Vietcong in Ostberlin und wollte als Arzt auf der Seite der Aufständischen arbeiten. Sie schickten mich freundlich nach Hause. Dann ging ich nach Kalifornien und arbeitete für die illegale mexikanische Landarbeitergewerkschaft unter Cesar Chavez. Meine schönste Zeit als Arzt, keine Einkünfte, Essen und Trinken und ein Zimmer. Sinnvolle, absolut notwendige medizinischen Basisarbeit. Dann Mexiko, Oaxaca, Puerto Escondido. Dann kam ich zurück und musste beides tun, schreiben und Arzt sein.

Seit wann arbeiten Sie in Ihrer Praxis? Spielen die Erfahrungen des Praxis-Alltags in ihren Romanen eine Rolle? Wenn ja wie?
Seit 1980 arbeite ich in meiner kleinen Allgemeinarztpraxis in Stuttgart Ost. Die Innenseite der Dinge und Menschen sind die Worte. Diesen roten Faden habe ich damals wiederaufgenommen und mit der Praxisgründung in wenigen Wochen den Roman „mexikanische Reise“ geschrieben. Ich höre auf den Menschen vor mir, taste ihn ab, horche in ihn hinein, dringe in seine Blutbahn ein, messe die elektrischen Schläge seines Herzens und bin in seinem Innersten. Dann sage ich ihm, was ich ihm sagen kann und bin wieder der kleine Junge mit den Marienkäferflügeln und sehen den Glanz und sehe den Schatten, der durch mich hindurch auf mein Gegenüber fällt. Der Praxisalltag ist der magische Realismus der Poesie bis auf die 30 Prozent bürokratische Schikane.

Wenn Kritiker Ihre Romane beschreiben, klingt das immer nach üppigem Leben, mit allem was interessanter Stoff braucht: Drama, Tragödie, Liebe, Brüche, Irrungen und Wirrungen, aber immer mit dem Hintergrund der Menschlichkeit – sind das vor allem autobiografische Beschreibungen oder reine Phantasiereisen? Welche Themen interessieren Sie literarisch am meisten?
Sie sagen es. Ich kann gar nicht verstehen, dass es Autoren gibt, und es gibt viele davon, die banale, dumme, leere Phrasen machen. Literatur ist das Hervorwenden der inneren Substanz, der zusammengepressten Menge der Worte, die jeden Körper (Tier, Mensch, Stein) vollständig ausfüllen. Die Leute, um von belebten Dingen zu reden, schwitzen geradezu die Worte aus, man muss sie nur ernten, man muss Gefäße ranhängen wie bei Kautschukbäumen und den Saft ernten. Ich schreibe nur autobiographisch, wie jeder, es geht gar nicht anders. Klar, die Chronologie, der Ort, der Name, alles wird dramaturgisch neu gemischt, im letzten Roman „Maria vom Schnee“ ist der Erzähler ein toter elfjähriger Junge, der ich bin, der, wie ich, von einem amerikanischen Besatzungsoldaten mit seinem Riesencadillac aufgespießt und skalpiert wurde. Mich interessiert die Grenze der Existenz, in jedem Roman ist sie der Ort und die Ursache der Verletzung. Die Orte müssen stimmen. Meine Romane können als Straßenverzeichnis benützt werden – im „Hauptmann von Stuttgart“ für den Stuttgarter Osten, im „Julius oder der schwarze Sommer“ für die Filderebene, im „Tazacorte“ und „Kaiman links“ für San Miguel de la Palma, im „Tanz“ für Stuttgart, in der „Maria vom Schnee“ für Neuhausen, das ich an die Stelle von Donnstetten bei Schopfloch gesetzt habe und Dornstetten genannt habe, wegen des „Dorns“. Orte sind magische Seelensubstanz, verletzt, wie sie sind, bluten sie aus in ihre Worte hinein.

Auch Flucht, skurile Alltagsbegebenheiten und Außenseiter-Biografien spielen in Ihren Romanen immer wieder eine Rolle – fühlen Sie sich selbst als unkonventioneller Mensch oder leben Sie diese Seite hauptsächlich in Ihren Büchern aus?
Meine Bücher und ich leben dasselbe Leben.

Wie und warum kamen Sie in den „kommunistischen Untergrund“?
Zum „Kommunistischen Untergrund“ kam ich, weil meine kommunistische Freundin mich nicht mehr lieben wollte, wenn ich nicht binnen sechs Wochen Marx, Engels und Lenin auswendig konnte. Ich war gut im auswendig lernen. Ich tat es am Strand vor Bilbao in Nordspanien. Sonst war ich nicht ehrgeizig- und das musste man sein, sonst wurde man nichts- und verteilte vor dem Dienst im Krankenhaus Moabit an den U-Bahneingängen Flugblätter. Auch ließ ich während der Eingriffe im Operationssaal, jetzt im Klinikum Steglitz kommunistische Manifeste auf den Boden fallen, was mir die Bemerkung meines Chefs einbrachte, ´Rabsch, du bist ein Idealist, aber mach dir nichts draus, ich war auch bei der Hitlerjugend.´ Dann flog ich nach Los Angeles und traf mich konspirativ mit einer Kommunistin. Es war ein Viertel, in dem nur Schwarze wohnten. Wir beide waren die einzigen Weißen und taten eine ganze Zeit lang so, als würden wir uns nicht sehen. Es war lächerlich. Ich war Idealist. Ich habe ihr dann eines der Flugblätter aus Berlin übergeben Dann, zu Hause und in Stuttgart, passierten die Selbstmorde der Bader Meinhof Gruppe in Stammheim. Die Rechtsanwälte der überlebenden Irmgard Möller kamen zu mir und baten mich, als Vertrauensarzt der Möller in der Tübinger Chirurgie aufzutreten. Sie wollten erfahren, was wirklich passiert war. Ich weigerte mich lang. Schließlich gab ich nach. Die Chirurgie war ein Feldlager voller Bewaffneter. Der Professor begrüßte mich mit den Worten, „Mensch Rabsch, wie können Sie sich mit diesen Leuten einlassen“, ich sagte, „ich bin Idealist, ich interessiere mich für die Wahrheit“. „Sie machen sich unglücklich“, sagte er. Aber deswegen wurde ich nicht unglücklich. Ich wurde in den folgenden zehn Jahren nur ohne ersichtlichen Grund an verschiedenen Grenzen aus dem Zug geholt und aufgehalten. Oder mein Auto wurde hinter der französischen Grenze gestoppt und vollkommen auseinander genommen. Dabei transportierte ich nur philosophische Schriften für einen Philosophen-Freund nach Paris.

Bezeichnen Sie sich – immer noch – als politischen Menschen und welche Themen liegen Ihnen am Herzen?
Ich bin natürlich politisch. Die Natur des Menschen ist politisch: „Julius oder der schwarze Sommer“ ist ein Atomkriegsroman der bei Hohenheim anfängt, „Der Hauptmann von Stuttgart“ ist ein Liebes- und Banküberfallroman in Stuttgart – sehr aktuell – „Tanz“ ist ein Bürgerkriegsroman in Stuttgart.
In meinem Theaterstück „Eingeklemmt“- das leider von verschiedenen Bühnen Stuttgarts nicht aufgeführt wird – treffen sich im Altersheim der letzte Jude an der Gaskammertür und der faschistische Türschliesser. An der Grenze des Vergessens tauschen sie fast rituell ein fast höfliches Gerede über das Ereignis aus. Die Tür musste noch mal aufgemacht werden, weil der Jude den Arm nicht hereingezogen hatte. Es ist ein Stück über die Unverbesserlichkeit des Menschen.
Die Kultur des Mitmenschlichen ist eine Tünche. Man darf froh sein, wenn sie eine Weile hält

Was halten Sie für das größte Unglück, was für die größte Chance unserer Zeit?
Das größte Unglück ist schon geschehen. Es ist der Dreißigjährige Krieg, der erste und der zweite Weltkrieg, das Judenprogrom. Der Mensch wird immer in seinem blutroten Schatten leben. Seine mörderische Habgier ist fast schon genetisches Programm, angefangen bei Kain und Abel. Es gibt Daten, die sich so interpretieren lassen, dass der Homo sapiens als Menschenfresser begonnen hat. Er wird nie sicher sein vor sich selbst.
Die Chance? Dass er sich da herausredet.

Was tun Sie sonst gerne – auch schreiben und heilen kann einem ja mal über sein?
Außer schreiben und heilen gehe ich gerne allein durch die Natur und höre auf jedes Wort, das heißt, ich wechsle die Rollen, das Durcheinander wäre zu groß, ich bin ein Despot in Bezug auf Wortmeldungen und halte mir angeberisch die Ohren zu, dann wieder lege ich den Kopf an einen Baumstamm, na ja, wie alle Leute, Borkenkäfer, Spechte, das ganze Drama hinter der Rinde eben.

Haben Sie einen Traum den Sie gerne noch verwirklichen möchten?
Hinter meinem Haus in Rosenfeld ist ein Tal und ein Teich. Dort baue ich in diesem Frühjahr ein „Schiff aus Stein“. Die Gemeinde wird auf ihre Kosten 55 Kubikmeter Feldsteine antransportieren. Das 15 Meter lange Schiff wird aus dem Wiesenabhang zur Wasserfläche hinunterzeigen und sie nicht erreichen. Wenn es sie erreichen würde, müsste es untergehen. Unten werde ich aus Bruchholz, wenn es die Gemeinde erlaubt, einen Leuchtturm ins Wasser setzen. Das ist mein Traum, der Natur ihr Geheimnis entlocken, die Wegebeschreibung dahin.

Was mögen Sie an Stuttgart und was nicht?
An Stuttgart mag ich nicht, dass es seine eigenen Künstler nicht herausstellt. Mein Fast-Freund und Patient Esser, vergessen schon zu Lebzeiten. Zum Beispiel. Ich, in aller Bescheidenheit, eine Stimme im Konzert der Kunstschaffenden, muss, wenn ich gerne in der Stadtbücherei aus meinem neuen Roman lesen möchte, hören, dass ich nur eine lokaler Künstler bin und deshalb nicht eingeladen werde. Alles andere mag ich an Stuttgart.

Reisen Sie gerne? Wohin am liebsten?
Ich reise ungern, bin am liebsten angekommen. Aber wenn ich reisen muss, dann blutet mir das Herz, dass ich nicht diejenigen bin, die ich bei sich zu Hause antreffe in einer Konkretheit, die mir selbst im eigenen Haus immer abgeht, weil ich mich egal wo ich bin als zufälliger Gast befinde. Wohin? Innere Mongolei.

Kochen Sie selbst oder gehen Sie essen?
Ich koche selbst, Milchreis, und gehe essen.

Udo O. Rabsch beim konkursbuch-verlag

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