einer wie keiner: helmut palmer, der remstal-rebell

Bodenständig, unbeugsam, rührig, humorvoll und rebellisch, so sorgte Helmut Palmer für Aufruhr im Schwabenländle! Als Remstal-Rebell und Kommunalwahlschreck vom Wähler geliebt, von Landes- und Lokalpolitikern gefürchtet, ließ sich der selbst berufene Sprecher der „kleinen Leute“ einfach nicht den Mund verbieten. Daran änderten zahlreiche Gerichtsprozesse ebenso wenig wie Haft oder psychologische Gutachten.

palmer Auch Autor Jan Knauer ist fasziniert vom Charakter des wohl bekanntesten schwäbischen „Wutbürgers“ und verfasste für den Theiss Verlag unter dem Titel „Helmut Palmer. Der Remstal-Rebell“ eine populärwissenschaftliche Version seiner 2011 an der Uni Tübingen entstandenen Doktorarbeit „Bürgerengagement und Protestpolitik. Das politische Wirken des `Remstalrebellen Helmut Palmer und die Reaktionen seiner Mitmenschen“

Obwohl Helmut Palmer bereits viele Jahrzehnte vor „Stuttgart 21“ wütete, die Botschaften waren damals schon die selben. Vor dem Hintergrund neu entstehender Bürgerinitiativen, neuer Parteien und Basisbewegungen, forderte der Obstbauexperte, Kaufmann, Idealist, Aktionist, Bürgerrechtler und zutiefst politische Helmut Palmer den Schutz von Umwelt und Ressourcen, sichere Verkehrswege und vor allem: weniger Bürokratie und mehr Demokratie.

Um seine Anliegen öffentlich zu machen, war dem Till Eulenspiegel der 1970er-Jahre fast jedes Mittel recht: als Kunde im Palmerschen Obst- und Gemüseladen, musste sich eine Standpauke gefallen lassen, wer mit Plastiktasche statt Korb oder Jutebeutel zum Einkaufen kam – wenn er von Palmer überhaupt bedient wurde!

Trotz Hausverbot, schleicht sich Helmut Palmer beim FDP-Dreikönigstreffen vor der Stuttgarter Staatsoper mit falschem Bart und Perücke unter die Gäste und um die Gefährlichkeit abprubt endender Leitplanken zu demonstrieren, legt er sich in ein Tuch gewickelt auf selbige.

Palmer war ein wilder Hund, der sich der Staatsgewalt widersetzte und dabei auch vor einer polizeilichen Verfolgungsjagd durch Winnenden nicht zurück schreckte. Keine Frage: Palmer schoss mehr als einmal übers Ziel hinaus, doch über wessen Ziele eigentlich?

Seine Auftritte als Redner – egal ob auf dem Marktplatz, im selbst gemieteten Gemeindesaal oder bei Wahlveranstaltungen der politischen Gegner – sind so legendär wie wortwitzig und wer sich gegen Palmer behaupten konnte, stieg im Ansehen der Wähler um einige Stimmen. Die meisten Politiker konnten allerdings mit so viel zivilcouragiertem Engagement und rhetorischer Schärfe schlecht umgehen und wussten sich teilweise nicht anders zu helfen, als die Pressevertreter um Stillschweigen zu bitten – ein Schuss, der zumindest in einem belegten Fall nach hinten losging.

Doch auch Palmer selbst war ständige Zielscheibe von Beleidigunen, Schmäh- und Drohbriefen bis hin zu antisemitistischen Beschimpfungen. Der Mann polarisierte sein ganzes Leben lang: während die einen Palmer als Polit-Clown verachteten, stellten sich andere mit aufsehenerregenden Solidaritätsbekundungen hinter ihn. Auch der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel gab zu, den Mann unterschätzt zu haben.

„Die Demokratie muss Querköpfe wie Helmut Palmer aushalten“, schreibt Weggefährte Winfried Kretschmann im Vorwort. „Denn mit ihrer Non-Konformität beleben sie die politische Diskussion, da sie sich abseits der ausgetretenen politischen Pfade bewegen, den Finger in die Wunde legen und Alternativen aufzeigen. Und auch wenn er mit seiner unbeugsamen Haltung immer wieder aneckte und mit dem Gesetz in Konflikt geriet, so hat Helmut Palmer bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen letztlich doch stets auf urdemokratische Weise gekämpft – indem er nämlich um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler warb.“

Diese sicher wohlwollend gemeinte Einschätzung wäre Palmer selbst vermutlich zu wenig gewesen. Er wollte Taten sehen und ging mit bestem Beispiel voran: fleißig zu sein entsprach seiner schwäbischen Prägung und fleißig war er auch für die Demokratie, die seiner Meinung nach nur durch den aktiven Einsatz der Bürger getragen und bewahrt werden kann.

„Aus diesem Bürgerideal heraus ist Helmut Palmer durchaus als Politiker zu verstehen, auch wenn er nie ein Amt oder Mandat innehatte“, so Jan Knauer über einen homo politicus, der als „Ein-Mann-Partei“ über 300 mal für Wahlen kandidierte und bei der Bundestagswahl 1987 in seinem Wahlkreis Waiblingen mehr als 30 000 Stimmen verbuchen konnte.

Palmers Kompromisslosigkeit war wohl auch für Freunde und Verwandte eine Herausforderung, diese Facette beleuchtet Jan Knauer in seinem Buch für meinen Geschmack ein bisschen zu wenig. Vermutlich auch deshalb, weil sich Helmut Palmers Leben und seine politische Einstellung kaum trennen lassen: Mit dem Öschbergschnitt zum Beispiel wollte der Pomologe den württembergischen Obstbau revolutionieren und schlitterten in einen regelrechten Obstbaukrieg. Selbst der eigene Großvater drohte ihm Gewalt an, sollte der Enkel es wagen, noch einmal Hand an die Obstanlagen der Familie zu legen.

Heute, viele Jahre nach Helmut Palmers Tod, gibt sein Sohn Boris Palmer als Oberbürgermeister der Stadt Tübingen regelmäßig „Schnittkurse der anderen Art“ – von vielen interessierten Obst- und Gartenbauern geschätzt und besucht.

Jan Knauer „Helmut Palmer“, 240 Seiten, Hardcover, 24 Euro 90, Theiss Verlag

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